Von 1976 bis 2005 hatte Bien eine ordentliche Professur für das Fach Philosophie an der Universität Stuttgart inne. Zudem war er dort Geschäftsführender Direktor des Instituts für Philosophie, Pädagogik und Psychologie und Sprecher des an den Universitäten Stuttgart und Tübingen angesiedelten Sonderforschungsbereiches „Natürliche Konstruktionen. Leichtbau in Natur und Architektur“, in welchem er mit dem Architekten Frei Otto zusammenarbeitete. Er war zudem seit 1988 Honorarprofessor der Universität Ulm, ebenso Gründungs- und Vorstandsmitglied des dortigen Humboldt-Studienzentrums für Geisteswissenschaften als auch Vorsitzender dessen Wissenschaftlichen Beirats. Außerdem war Bien Vorsitzender des Kuratoriums der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart – um nur einige seiner zahlreichen Mitgliedschaften und Mitwirkungen zu nennen. Nach seiner Emeritierung, von der Universität Stuttgart mit einem Kolloquium zu seinen Ehren gefeiert, stellte er sich in Berlin neuen Herausforderungen und war Prorektor der renommierten Lessing-Hochschule zu Berlin.
Seine Vorlesungen an der Universität Stuttgart waren legendär; mit lebendigen Hintergrundinformationen und zuweilen auch Anekdoten gespickt, lockerte er auch die trockensten Stoffe auf. Stets war es ihm ein Anliegen, aus der Philosophie Entscheidendes für die heutige Lebenswelt abzuleiten, was seine Vorträge lebendig und spannend machte. Bien war ein praktischer Philosoph im Wortsinne; gut aristotelisch wies er immer darauf hin, dass die Philosophie im Leben der Menschen eine Rolle bei der Verbesserung der Lebensbedingungen spielen kann und soll. Die freundliche Wärme, die dabei von ihm bei allen seinen Darlegungen ausging, welche seine tiefe Verbundenheit mit den jeweiligen Themen spürbar machte, konnte viele Studentinnen und Studenten gerade für die praktisch-philosophischen Ansätze der Tradition begeistern.
Bien war ein exzellenter Kenner der Geschichte der Philosophie und besonders der antiken Philosophie, dies jedoch in Verbindung mit durchaus systematischen Schwerpunkten wie der Technik, der Ökonomie und der Politik. Sein Buch „Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles“, das aus seiner Habilitationsschrift hervorgegangen ist, gilt noch heute als Standardwerk zu Aristoteles. Ebenso hat er die gängigen Übersetzungen von Rolfes der „Nikomachische Ethik“ und der „Politik“ von Aristoteles revidiert und erläutert und hat so bis heute für Studium und Forschung maßgebliche und brauchbare Ausgaben geschaffen.
Wie Hermann Lübbe, bei dem er 1964 in Bochum promoviert wurde, Robert Spaemann, sein Vorgänger auf dem Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Stuttgart, und Odo Marquard, sein Kommilitone aus der gemeinsamen Studienzeit in Münster, wird Bien der sogenannten Ritter-Schule zugerechnet, was sich auch in der Mitherausgabe jenes von Joachim Ritter initiierten Jahrhundertwerkes, dem „Historischen Wörterbuch der Philosophie“, und Biens zahlreich darin enthaltenen substantiellen Beiträgen zeigte.
Systematisch war es vor allem das Gebiet der Lebenskunst und Glücksphilosophie, auf dem Bien sich forschend bewegte. Günther Bien hat damit schon früh im deutschsprachigen Raum zur Renaissance tugendethischer Ansätze beigetragen, wie sie heute aus der praktischen Philosophie nicht mehr wegzudenken sind. Zahlreiche Publikationen zur Frage nach dem Glück und der Lebensführungskompetenz entstanden, die mittlerweilein mehreren Auflagen erschienen sind. Liebevoll wurde er deshalb auch Monsieur Le Bien genannt. Auch im außerakademischen Bereich wurde er mit diesen seinen Hauptthemen wahrgenommen; er schaffte es sogar in so manche Talkshow und setzte sich z. B. gemeinsam mit Eckart von Hirschhausen dafür ein, Menschen philosophische Hilfestellung dabei zu geben – auch in einem durchaus therapeutischen Sinne –, sich ins Glücklichsein einzuüben.
Günther Bien reiht sich in die Gruppe jener großen Philosophen an der Universität Stuttgart wie Max Bense und Robert Spaemann ein, die sich um die hiesige Philosophie verdient gemacht haben und unvergessen bleiben werden.
Es heißt, Günther Bien habe auch in der Zeit der langjährigen schweren Krankheit seiner letzten Jahre im Pflegeheim den Mitpatienten Vorträge über das Lebensglück gehalten. Er lebte, was er lehrte, und das bis zuletzt. Günther Bien starb am 6. November in Berlin.
Renate Breuninger und Andreas Luckner